23. August 2022

Aktuelles im Arbeitsrecht: Der Experten-Überblick für HR

Aktuelles im Arbeitsrecht

Arbeitsrechtliche Vorgaben beeinflussen Ihre HR-Arbeit an einigen entscheidenden Stellen. Und Fehler können teuer werden – nicht nur in finanzieller Hinsicht. Damit Sie auf dem Laufenden sind, gibt Ihnen die Arbeitsrechtlerin Sarah Klachin von der Kanzlei Pinsent Masons einen Überblick über wichtige Urteile und alles, was das Arbeitsrecht aktuell bewegt.

Heute: Bei wem die Nachweispflicht über geleistete Überstunden liegt, wie HR das Gesetz zum Hinweisgeberschutz umsetzen muss, was bei einer Massenentlassungsanzeige nicht fehlen darf und wann Aufhebungsverträge wirksam sind.

Erstellen Sie mit dieser Vorlage rechtssichere Aufhebungsverträge.

Urteil bestätigt: Überstunden muss der Arbeitnehmer nachweisen

Nach vielen Diskussionen um Urteile zu einer verpflichtenden Arbeitszeiterfassung, die in erster und zweiter Instanz getroffen wurden, können Arbeitgeber erst einmal aufatmen. Arbeitnehmende, die auf eine Vergütung von Überstunden klagen, müssen weiterhin ihre Überstunden konkret nachweisen – das bestätigte das Bundesarbeitsgericht mit seinem Urteil vom 4.5.2022, 5 AZR 359/21.

Wäre die Entscheidung anders ausgefallen, hätten sich Arbeitnehmer relativ pauschal auf die Ableistung von Überstunden berufen können. Dagegen hätten sich Unternehmen, die keine Arbeitszeiterfassung im Einsatz haben, kaum wehren können.

Mit dem neuen Urteil müssen Arbeitnehmer nun (weiterhin) Folgendes nachweisen:

  • Wann genau wurden die Überstunden geleistet?

  • Was wurde dabei gearbeitet?

  • Die Überstunden wurden vom Arbeitgeber angeordnet (oder waren diesem zumindest bekannt und wurden gebilligt)

Das Urteil bestätigt, dass einem Arbeitgeber, der bisher keine Zeiterfassung hat oder diese einführt, weiterhin nicht in der Beweislast bei Vergütungsfragen wie der Überstundenabgeltung ist. 

Die Begründung

Die Vorgaben des Europäischen Gerichtshof aus dem Urteil vom 14.5.2019, C-55/18 zur Pflicht zur Arbeitszeiterfassung betreffen nach Ansicht des Bundesarbeitsgerichts nur Fragen des Arbeitsschutzes, also Höchstarbeitszeiten und Ruhezeiten. Somit haben sie keinen Einfluss auf Vergütungsfragen.

Ist das Thema “Arbeitszeiterfassung” jetzt vom Tisch?

Nicht wirklich. Weil der Handlungsauftrag an die nationalen Gesetzgeber vom EuGH so klar formuliert wurde, dass mit Reaktionen des deutschen Gesetzgebers letztlich dennoch zu rechnen ist.

Für HR heißt es, das Thema im Blick zu behalten – und sich im Idealfall jetzt schon eine Zeiterfassungs-Software beschaffen, die bestimmte Eintragungen ermöglicht.

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Weitere Schritte auf dem Weg zur Umsetzung der „EU-Whistleblower Richtlinie“

Eigentlich hätte sie schon im Dezember letzten Jahres in deutsches Recht umgesetzt werden müssen – die EU-Richtlinie 2019/1937 zum Schutz von Hinweisgebern, besser bekannt als „EU-Whistleblower-Richtlinie“. Am  27. Juli 2022 hat die Bundesregierung nun endlich einen Regierungsentwurf für ein Hinweisgeberschutzgesetz vorgelegt. 

Welchen Zweck hat das neue Hinweisgeberschutzgesetz?

Ziel des Gesetzes ist es, den Schutz von Whistleblowern in Unternehmen und Behörden zu gewährleisten. Es soll dafür sorgen, dass Arbeitnehmer:innen oder Beamt:innen – aber auch Selbstständige, Lieferanten und Praktikanten – vor Repressalien wie einer KündigungAbmahnung oder Mobbing geschützt sind, wenn sie auf Straftaten oder Rechtsverstöße in ihrem Arbeitsumfeld hinweisen. Dabei kann es sich beispielsweise um Steuerhinterziehung, Korruption, Geldwäsche oder Verstöße gegen das Umwelt- und Lebensmittelrecht handeln. 

Was muss HR jetzt anstoßen?

Das Hinweisgeberschutzgesetz soll im November 2022 verabschiedet werden und drei Monate nach der Verkündung in Kraft treten. Unternehmen des Privatsektors mit mehr als 249 Mitarbeitenden müssen sich darauf einstellen, dass sie nur bis Ende Februar 2023 Zeit haben werden, um …

  • erstmalig eine Meldestelle einzurichten oder

  • sicherzustellen, dass eine bestehende Meldestelle und bereits vorhandene Vorgaben zum Umgang mit Meldungen die gesetzlichen Anforderungen erfüllen. 

Achtung: Unterschätzen Sie nicht den Aufwand, eine datenschutzkonforme Ausgestaltung der Meldestelle sicherzustellen!

Ausführlichere Infos und Details finden Sie hier:

Wann “unter Druck entstandene” Aufhebungsverträge wirksam sind

Nach einem Urteil des Bundesarbeitsgerichts v. 24.02.2022 (6 AZR 333/21) darf ein Arbeitgeber eine:n Arbeitnehmer:in …

  • unvorbereitet zu einem Personalgespräch bitten, 

  • in Anwesenheit des eigenen Anwalts mit Vorwürfen bezüglich des arbeitnehmerseitigen Fehlverhaltens konfrontieren, 

  • ihm / ihr einen Aufhebungsvertrag anbieten, der nur „jetzt und heute“ abgeschlossen werden kann

  • mit einer Kündigung und Strafanzeige bei Nichtunterzeichnung drohen.

Personalgespräche souverän und zielorientiert führen. Checkliste hier herunterladen.

Der konkrete Fall

Bei der Arbeitnehmerin im konkreten Fall handelte es sich um eine Verkaufsangestellte, die seit über vier Jahren in einem Betrieb arbeitete und in dieser Zeit mehrfach Einkaufspreise, die im System hinterlegt waren, ohne Rücksprache und ohne sachlichen Grund herabgesetzt hatte. In drei Fällen reduzierte sie nicht nur die Einkaufspreise, sondern vergab die von ihr verkauften Waren auch zu einem unangemessen niedrigen Preis.

Begründung des Bundesarbeitsgerichts

Die Drohung des Arbeitgebers mit einer fristlosen Kündigung und einer Strafanzeige war nach Ansicht des Bundesarbeitsgerichts nicht widerrechtlich, da…

  1. ein verständiger Arbeitgeber im Streitfall eine außerordentliche Kündigung und auch eine Strafanzeige ernsthaft in Erwägung ziehen durfte,

  2. die Verdachtsmomente gegen die Arbeitnehmerin so schwer wogen, dass man dem Arbeitgeber nicht vorwerfen konnte, diese aus nichtigem Anlass oder auf unfaire Weise zu einem Aufhebungsvertrag gedrängt zu haben,

  3. die Entscheidungsfreiheit der Arbeitnehmerin nicht dadurch verletzt wurde, dass der Arbeitgeber den Aufhebungsvertrag nur zur Unterschrift „jetzt und heute“ unterbreitet hatte. Die Arbeitnehmerin musste zwar sofort über die Annahme des Angebots entscheiden, dies war laut Bundesarbeitsgericht aber zulässig. 

Vorlage: Aufhebungsverträge erstellen

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Die anpassbare Vorlage enthält eine musterhafte Struktur mit wichtigen Inhalten, vorformulierte Textbausteine und verschiedene Alternativen zur Auswahl.

Was heißt das für Arbeitgeber?

Es wird auch künftig nur sehr wenige Fälle geben, in denen Arbeitnehmer einen Aufhebungsvertrag unter Berufung auf das Gebot fairen Verhandelns anfechten und so wieder auflösen können.

  • Arbeitgeber müssen bei Verhandlungen über einen Aufhebungsvertrag ihre Interessen nicht verleugnen 

  • Sie sind nicht verpflichtet, eine für den Arbeitnehmer angenehme Verhandlungssituation zu schaffen

  • Sie müssen Arbeitnehmenden keine Bedenkzeit oder eine Rücktritts- oder Widerrufsmöglichkeit einräumen

  • Es besteht keine Pflicht des Arbeitgebers, dem Arbeitnehmer vorab anzukündigen, dass in einem Personalgespräch über einen Aufhebungsvertrag gesprochen wird

Massenentlassungsanzeigen auch ohne „Soll-Angaben“ wirksam

Mit Urteil v. 19.05.2022  (2 AZR 467/21) entschied das Bundesarbeitsgericht: Reicht ein Arbeitgeber Massenentlassungsanzeige bei der Agentur für Arbeit ein, ohne die sogenannten “Soll-Angaben” mit zu übermitteln, ist die Anzeige dennoch wirksam. 

Das Fehlen der „Soll-Angaben“ gemäß § 17 Abs. 3 S. 5 des Kündigungsschutzgesetzes (KSchG) führt also nicht zur Unwirksamkeit einer Massenentlassungsanzeige. 

Die Soll-Angaben betreffen folgende Informationen über die zu entlassenden Mitarbeitenden:

  • Geschlecht, 

  • Alter

  • Beruf

  • Staatsangehörigkeit

Arbeitgeber, die eine Massenentlassung planen, müssen diese vorab bei der Arbeitsagentur und, falls im Betrieb ein Betriebsrat besteht, beim Betriebsrat anzeigen. 

Was bei einer Massenentlassungsanzeige aber ab einer bestimmten Betriebsgröße und Anzahl an geplanten Entlassungen nicht fehlen darf, sind die „Muss-Angaben“ (§ 17 Abs. 3 S. 4 KSchG).

Die „Muss-Angaben“ umfassen:

  • Namen des Arbeitgebers

  • Sitz und die Art des Betriebes

  • Entlassungsgründe

  • Anzahl und die Berufsgruppen der zu entlassenden Mitarbeitenden

  • Zahl der Beschäftigten insgesamt

  • Kriterien, nach denen die zu entlassenden Mitarbeiter:innen ausgewählt werden

  • Zeitraum, in dem die Entlassungen erfolgen sollen. 

Das Fehlen einer solchen Angabe führt zur Unwirksamkeit der Kündigungen.  

Das Urteil des Bundesarbeitsgerichts kommt zwar nicht sonderlich überraschend, dennoch führt die Klarstellung zu mehr Rechtssicherheit. Immerhin gab es in der Vergangenheit gerade zum Massenentlassungsverfahren hinsichtlich europarechtlicher Vorgaben einige überraschende Wendungen der Rechtsprechung. 

Disclaimer

Sarah Klachin

Sarah Klachin

Sarah Klachin, LL.M. ist Rechtsanwältin mit dem Schwerpunkt Arbeitsrecht. Sie ist für Pinsent Masons Germany LLP, eine der führenden internationalen Wirtschaftskanzleien, am Standort München tätig.