10. Dezember 2022

BAG-Entscheidung 2022: Ab wann ist Arbeitszeiterfassung Pflicht?

Arbeitszeiterfassung BAG-Urteil 2022

Bereits im September 2022 hatte das Bundesarbeitsgericht (BAG) geurteilt, dass Arbeitgeber ein System zur Arbeitszeiterfassung einführen müssen. Nun hat das BAG eine konkretere Begründung veröffentlicht, wie ein rechtssicheres Zeiterfassungssystem aussehen muss. Auch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) hat umgehend auf die Veröffentlichung der BAG-Begründung reagiert.

In diesem Artikel gibt Rechtsanwältin Sarah Klachin von der Kanzlei Pinsent Masons Antworten auf die wichtigsten Fragen.

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BAG-Entscheidung zur Arbeitszeiterfassung: Die wichtigsten Fakten

  • Am 3. Dezember 2022 veröffentlichte das BAG die Entscheidungsgründe zu seinem Beschluss zur verpflichtenden Arbeitszeiterfassung vom 13.9.2022 (1 ABR 22/21)

  • Das BAG erlaubt Arbeitgebern, die Zeiterfassung an Arbeitnehmer:innen zu delegieren. Sie haben jedoch die tatsächliche und korrekte Arbeitszeiterfassung sicherzustellen.

  • Die BAG-Entscheidung ermöglicht weiterhin eine flexible Arbeitsweise auf Vertrauensbasis. Allerdings müssen Zeiten ab sofort auch bei Vertrauensarbeitszeit und mobilem Arbeiten erfasst werden.

  • Zeiten müssen nicht zwingend elektronisch erfasst werden, jedoch muss das System Datenschutz, Sicherheit und Gesundheitsschutz der Arbeitnehmenden gewährleisten.

Ab wann gilt die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung?

Nach jahrelangem Hin-und-Her, dem Stechuhr-Urteil des EuGHs in 2019 und dem BAG-Urteil vom September 2022, sieht auch der aktuelle Beschluss des BAG keine Übergangsfrist mehr vor. Das bedeutet: Die Pflicht besteht ab sofort für alle Arbeitgeber, unabhängig von ihrer Größe.

Wie müssen Arbeitszeiten laut BAG erfasst werden? 

§ 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG verpflichtet Arbeitgeber laut BAG, ein System nicht nur einzuführen, sondern auch ordnungsgemäß anzuwenden. Erfasst werden müssen

Das System zur Arbeitszeiterfassung muss laut Stechuhr-Urteil des Europäischen Gerichtshofs zudem objektiv, verlässlich und zugänglich sein. 

Welche Pflichten haben Arbeitgeber bei der Zeiterfassung?

Das BAG erlaubt Arbeitgebern, die Arbeitszeiterfassung an die Arbeitnehmer:innen zu delegieren. Allerdings reicht es nicht, Mitarbeitende anzuweisen und danach die Hände in den Schoß zu legen. Stattdessen müssen Arbeitgeber dafür sorgen, dass das Arbeitszeiterfassungssystem tatsächlich und korrekt angewendet wird, etwa durch regelmäßige Stichproben

Arbeitszeiten einfach und sicher erfassen

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Wer muss Arbeitszeiten erfassen?

Grundsätzlich sind alle Arbeitnehmer:innen von der Pflicht zur Arbeitszeiterfassung betroffen. Einzig ausgenommen sind aktuell leitende Angestellte. Dabei nimmt das BAG auf die Anwendbarkeit der Arbeitszeitrichtlinie Bezug. 

Hier heißt es aufgepasst: Nicht jede Führungskraft ist automatisch leitende:r Angestellte:r. Ob dies zutrifft, muss ggf. im Einzelfall geprüft werden. 

BAG-Vorgaben: Das muss ein System zur Arbeitszeiterfassung leisten

Laut der BAG-Begründung steht es Arbeitgebern frei, ob sie Zeiten mithilfe eines manuellen oder eines digitalen Systems aufzeichnen. Je nach Tätigkeit und Unternehmen könnte auch eine Dokumentation in Papierform genügen – insbesondere für Arbeitnehmer:innen, die nicht im klassischen Bürojob arbeiten und nicht die technische Ausstattung haben, um Zeiten elektronisch zu erfassen.

Allerdings macht das BAG auch klar: Einfach das kostengünstigste System einzurichten ist nicht erlaubt.

Ein System zur Arbeitszeiterfassung sollte Folgendes leisten:

  • Die Sicherheit und dem Gesundheitsschutz der Arbeitnehmenden gewährleisten

  • Gesetzliche Regeln zum Datenschutz einhalten

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Personio Tipp

Zeiten müssen verlässlich und objektiv erfasst werden. Hier kann ein digitales System von Vorteil sein. Es ist nicht nur effizienter, sondern im Vergleich zu analogen Systemen auch deutlich weniger fehleranfällig oder manipulierbar.

Welche Rolle spielt der Betriebsrat bei der Wahl des Systems?

Kurz gesagt: „Ob“ ein System zur Zeiterfassung eingeführt wird, darf der Betriebsrat nicht mit entscheiden. Hingegen steht dem Betriebsrat ein Mitbestimmungsrecht bei der konkreten Ausgestaltung des Zeiterfassungssystems, also dem „Wie“ der Arbeitszeiterfassung, zu.

Aufgrund dieses Mitbestimmungsrechts sollten Arbeitgeber proaktiv mit Lösungen auf den Betriebsrat zugehen und nicht abwarten, bis dieser selbst die Initiative ergreift.

Drohen Bußgelder bei Verstoß?

Aktuell, so Sarah Klachin, sei nicht mit unmittelbaren Bußgeldern zu rechnen: Im Gegensatz zum Arbeitszeitgesetz knüpft das Arbeitsschutzgesetz Bußgelder nur an einen Verstoß gegen Rechtsverordnungen oder vollziehbare Anordnungen von (Arbeitsschutz-)behörden. Ohne konkrete vorherige Anordnung der Behörde ist das bloße “Nichterfassen” von Arbeitszeiten somit auch kein Verstoß.

Es ist durchaus möglich, dass Aufsichtsbehörden künftig Anordnungen erlassen, die auf der neuen BAG-Entscheidung und den Aussagen des BMAS basieren. Gegenstand könnte etwa die Einführung einer Arbeitszeiterfassung oder Überprüfungen von bereits bestehenden Systemen sein. Ob und in welchem Umfang das passiert, bleibt abzuwarten.

Was bedeutet die BAG-Entscheidung für die Vertrauensarbeitszeit?

Vielen Unternehmen ist es wichtig, ihrer Belegschaft eine selbstbestimmte, flexible Arbeitsweise auf Vertrauensbasis zu ermöglichen. Auf der Grundlage dieses Verständnisses stellen die BAG-Entscheidungsgründe zur Zeiterfassung nicht das Ende der Vertrauensarbeitszeit dar. Arbeitnehmer:innen können ihre Arbeitszeit auch weiterhin individuell gestalten, solange sie dabei die gesetzlichen Regelungen zu Ruhepausen und -zeiten, Höchstarbeitszeiten und das Verbot von Arbeit an Sonn- und Feiertagen beachten.

Neu ist dagegen nun, dass auch bei Vertrauensarbeitszeit jetzt eine Pflicht zur Arbeitszeiterfassung besteht. Wenn also unter Vertrauensarbeitszeit das Arbeiten ohne Zeiterfassung verstanden wird, ist eine solche nicht mehr möglich.

Auch BMAS nimmt Stellung

Auch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) hat umgehend auf die Veröffentlichung der BAG-Begründung reagiert. Das sind die wichtigsten Fakten:

  • Arbeitgeber dürfen mit der Arbeitszeiterfassung nicht warten, bis das Arbeitszeitgesetz an die Rechtsprechung des BAG angepasst ist.

  • Bestätigt die Verbindlichkeit der BAG-Entscheidung vom 13. September 2022, dass auch in Deutschland die gesamte Arbeitszeit der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aufzuzeichnen ist.

  • Auch beim mobilen Arbeiten – etwa aus dem Homeoffice – müssen die Arbeitszeiten erfasst werden.

Zeiterfassung: Konkrete To-Dos für HR 

Auch wenn die BAG-Entscheidung zur Zeiterfassung nicht alle Details klärt, so gibt sie zumindest grobe Leitlinien für die Umsetzung vor. 

Wichtig ist: Jeder Arbeitgeber muss jetzt eine Zeiterfassung einführen, ihre Anwendung anordnen und dies auch kontrollieren. Zudem müssen Arbeitgeber konkret prüfen, welches System dem Schutz der Beschäftigten im Unternehmen und deren Daten am besten gerecht wird. Es reicht nicht, einfach das kostengünstigste und einfachste Zeiterfassungssystem auszuwählen. 

Einen Vorschlag zur Anpassung des Arbeitszeitgesetzes will das BMAS im ersten Quartal 2023 vorlegen. Doch statt abzuwarten sollten Arbeitgeber die Einführung eines Zeiterfassungssystems bzw. die Überprüfung des bestehenden Systems zeitnah im neuen Kalenderjahr in Angriff nehmen.

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