Holokratie: Ohne Hierarchie zum Erfolg

Laissez-Faire-Führungsstil

Die persönliche Identifikation mit der Arbeit gilt als wichtiger Zufriedenheitsfaktor – zumindest gemäß einer Arbeitnehmerbefragung des accadis Institute of Digitalization aus dem Jahr 2022. Arbeitnehmer:innen ganzheitlich am Unternehmensgeschehen zu beteiligen, hilft diesen dabei, sich bestmöglich mit Ihrem Unternehmen zu identifizieren. Und genau an dieser Stelle kommt der Gedanke der Holokratie ins Spiel. Erfahren Sie im Folgenden, wie holokratisches Arbeiten funktioniert und welche Risiken und Chancen damit potenziell einhergehen. 

Key Facts

  • Holokratie bedeutet, dass die Führungsverantwortung nicht mehr bei Einzelnen liegt, sondern auf das Team in seiner Gesamtheit verteilt wird.

  • In holokratischen Unternehmen gibt es weder Hierarchien noch feste Zuständigkeiten. Statt Jobprofilen erfüllen Angestellte (mehrere) dynamische Rollen. 

  • Holokratische Strukturen gehen mit einem beträchtlichen Grad an Innovation und Flexibilität einher.

  • Um Holokratie erfolgreich zu praktizieren, ist es von essenzieller Bedeutung, dass Angestellte sowohl bereit als auch in der Lage sind, Verantwortung zu tragen. Fühlen sich Mitarbeiter:innen den Leistungsanforderungen nicht gewachsen bzw. sind sie nicht ausreichend darauf vorbereitet, resultiert das mitunter in Überforderung und sinkender Leistungsbereitschaft. 

Für holokratisches Arbeiten muss die Kultur stimmen. Dieser Leitfaden unterstützt Sie dabei.

Was ist eine Holokratie? Definition

Der Begriff „Holokratie“ ist an das englische „holacracy“ angelehnt und setzt sich aus den beiden altgriechischen Wörtern „hólos“ und „kràtos“ zusammen. „Hólos“ lässt sich mit „gesamt“ übersetzen und „krátos“, von dem sich das Suffix „-kratie“ ableitet, bedeutet so viel wie „Macht“ oder „Stärke“. Das Prinzip der Holokratie zielt also auf eine Gesamtmacht bzw. Gesamtstärke ab.

Um diese Gesamtstärke zu erreichen, gilt es, die herkömmlichen hierarchischen Strukturen zugunsten einer gemeinschaftlichen Verantwortung abzubauen. Mit anderen Worten: Führen ohne Anführer:in. Eine holokratische Arbeitsweise stellt somit das direkte Gegenteil von strikt autokratischen Führungsstilen dar. Die Methode der Holokratie reicht dabei noch deutlich weiter als agile Methoden. Während agile Methoden häufig nur in ausgewählten Unternehmensbereichen Anwendung finden, geht Holokratie grundsätzlich mit dem Gedanken einher, das ganze Unternehmen zu durchdringen.

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Funktionsweise einer Holokratie

Der US-Amerikaner und Holacracy-Erfinder Brian Robertson erklärt das Prinzip der Holokratie oft anhand eines einfachen Beispiels: Er vergleicht das Unternehmen als solches mit dem menschlichen Körper. Dieser basiert darauf, dass sich einzelne Zellen zu Organen zusammenfinden, die wiederum in ihrer Gesamtheit den Körper bilden. Vor diesem Hintergrund muss jede Zelle und jedes Organ in der Lage sein, alleine sowie im Team Verantwortung zu übernehmen. 

Bei Holokratie wachsen also einzelne „Mitarbeiterzellen“ zu größeren „Teamorganen“ zusammen, die gemeinsam einen „Unternehmenskörper“ ergeben. Nur dass bei Unternehmen nicht von Zellen, Organen und Körpern die Rede ist, sondern von Rollen und Kreisen. Der erste Schritt besteht somit darin, feste Positionen und Titel aufzugeben. Angestellte sind zunächst einmal „nur“ Angestellte – ganz ohne ein vorgeschriebenes Jobprofil. Sie gehören jeweils einem Kreis bzw. mitunter auch mehreren Kreisen an. 

Ganz ohne Hierarchie kommt Holacracy allerdings nicht aus. Denn die einzelnen Organe bzw. Kreise sind hierarchisch voneinander abhängig. Die Hauptkreise beziehen sich im Regelfall auf Fachabteilungen oder -bereiche (z. B. Kundenakquise, Buchhaltung, Marketing), während die Unterkreise dazu dienen, Schwerpunkte zu setzen. Innerhalb der jeweiligen Kreise erfüllen Mitarbeiter:innen Rollen wie beispielsweise „Flyerentwicklung“. Sammeln sich in einem Kreis zu viele Rollen, wird wiederum ein Unterkreis gebildet. 

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Um eine zielführende Kommunikation zwischen den einzelnen Kreisen sicherzustellen, wird aus jedem Kreis je ein Team-Mitglied als eine Art „Botschafter“ in den nächsten Oberkreis sowie in die zugehörigen Unterkreise entsandt. Zusätzliche Kommunikationsanreize geben außerdem die drei spezifischen Meetingformen, die bei einer holokratischen Arbeitsweise zur Anwendung kommen:

  • Operative Meetings/Tacticals: Diese finden in den Kreisen statt und dienen der Überprüfung des Ist-Zustands sowie der Planung des weiteren Vorgehens. 

  • Strategische Meetings/Issue-specific Meetings: Besonders komplexen Problemen widmet man sich kreisübergreifend in strategischen Meetings. Hier sammeln sich all diejenigen, die im Sinne ihrer Rollen und Kompetenzen zur Lösungsfindung beitragen können.

  • Steuerungsmeetings/Governance Meetings: Steuerungsmeetings zielen auf das große Ganze ab. Kreise und zugehörige Rollen werden im Zuge dessen hinterfragt und bedarfsweise angepasst. 

Wichtig: Eines der Hauptanliegen von Holokratie besteht darin, Flexibilität an den Tag zu legen – und zwar in jeder Hinsicht. Demzufolge wechseln sowohl Rollen als auch Vertreter:innen regelmäßig. Ebenso wird die Struktur der bestehenden Kreise stetig angepasst. 

Holokratie: Beispiel

Ein nach dem Holacracy-Ansatz strukturiertes Software-Start-up beschäftigt insgesamt 25 Mitarbeiter:innen. Diese verteilen sich auf die vier Hauptkreise „Entwicklung“ (7 Mitarbeiter:innen), „Optimierung“ (7 Mitarbeiter:innen) „Marketing und Vertrieb“ (6 Mitarbeiter:innen) und „Verwaltung“ (5 Mitarbeiter:innen). Die Unterkreise lassen sich wie folgt zuweisen: 

  • Entwicklung: Ideenfindung, Prototypentwicklung, Umsetzung

  • Optimierung: Zielgruppenrecherche, Fehlerbehebung, Ausarbeitung von Vorschlägen

  • Marketing und Vertrieb: Social-Media-Marketing, Webauftritt, Verkaufsabwicklung

  • Verwaltung: Finanzen, HR

Innerhalb der Unterkreise üben die Mitarbeiter:innen bereichsspezifische Rollen aus. Der Unterkreis „Social-Media-Marketing“ umfasst unter anderem die Rollen „Contentplanung“, „Fotografie“, „Text“, „Content-Upload“, „Zielgruppeninteraktion“ und „Analyse“. Einige der Unterkreise sind zudem in weitere Unterkreise gegliedert. Beispielsweise verzeichnet der Unterkreis „Webauftritt“ die Schwerpunkte „Google-Werbeanzeigen“ und „Unternehmenswebsite“. 

Aus jedem Haupt-, Unter- und Unterunterkreis werden zudem „Botschafter:innen“ in die Nachbarkreise gewählt. Das bedeutet in der Praxis, dass z. B. aus dem Unterkreis „Webauftritt“ jeweils eine Person zu „Google-Werbeanzeigen“ und „Unternehmenswebsite“ und eine weitere zum Hauptkreis „Marketing“ geschickt wird. 

Die 4 Säulen einer Holokratie in Unternehmen

Damit holokratisches Arbeiten Früchte trägt, müssen sich alle Angestellten über die allgemeinen Prozesse genauso im Klaren sein wie über eigene Verantwortlichkeiten. Zu diesem Zweck gibt es vier unterstützende Säulen:

Doppelte Verbindung (Double Linking)

Durch die entsandten Vertreter:innen ist jeder Kreis sowohl nach oben als auch nach unten hin doppelt verbunden. Denn schließlich werden pro Kreis nicht nur Mitglieder ausgeschickt, sondern gleichzeitig auch eines pro Nachbarkreis empfangen. Den Vertreter:innen obliegt es, kreisübergreifend für einen deckungsgleichen Informationsstand zu sorgen.

Klare Rollenverteilung

Auch wenn Angestellte in holokratisch operierenden Unternehmen keine festen Stellen, sondern wechselnde Rollen innehaben, ist es wichtig, dass sich alle Mitarbeiter:innen mit ihren derzeitigen Rollen identifizieren und sich diesen gewachsen fühlen. Da Mitarbeiter:innen zudem im Regelfall mehrere Rollen zugleich ausfüllen, ist eine eindeutige Rollenverteilung umso wichtiger. 

Teilung von operativen und Steuerungstreffen

Um kreativen Schaffensprozessen ausreichend Raum zu geben, gilt es, Steuerungstreffen von operativen Aspekten und Diskussionen frei zu halten. Diesen widmet man sich in rein operativen Treffen auf Unternehmensebene. Dieses Verfahren hat den großen Vorteil, dass beide Bereiche für sich umfassend Beachtung finden, einander aber nicht im Weg stehen. 

Dynamische Entscheidungsfindung

Das Holacracy-Prinzip geht mit einer flexiblen Lösungsfindung einher. Ziel ist nicht, von vornherein eine perfekte Lösung anzustreben. Vielmehr geht es darum, einen ersten Ansatz zu entwerfen und diesen über die Zeit hinweg und auf der Basis von Feedbackrunden weiterzuentwickeln.

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Die Rollen in einer Holokratie

Anders als beispielsweise bei der agilen Methode Scrum gibt es in der Holokratie keine fest definierten Rollen. Die Rollen sind zwar – auf die Mitarbeiter:innen bezogen – abgegrenzt, aber stetig im Wandel. Bestehende Rollen können unter Umständen komplett wegfallen bzw. eine Rolle kann sich auf mehrere Rollen aufteilen. 

Für die Mitarbeiter:innen bedeuten regelmäßige Rollenwechsel einerseits ein häufiges Umdenken, andererseits bieten sie ein hohes  Weiterentwicklungspotenzial. Angestellte haben somit die Chance, ihre fachlichen Fähigkeiten und Neigungen zu ergründen, ohne fürchten zu müssen, aus ihrem Job „herauszuwachsen“. Denn Holokratie basiert – zumindest auf dem Papier – darauf, dass alle ihre individuellen Stärken ausloten, um auf diesem Weg zu einer dynamischen Einheit zusammenzuwachsen.

Vor- und Nachteile des Holokratie-Modells

Laut einer Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft aus dem Jahr 2018 leidet die Mitarbeiterzufriedenheit unter zu starker Kontrolle. Vor diesem Hintergrund kommt Holacracy wie gerufen! Auf der anderen Seite jedoch geht holokratisches Arbeiten Kritiker:innen zufolge mit gewissen Risiken einher. Doch welche Argumente überwiegen unterm Strich? 

Vorteile von Holokratie

  • Hierarchien werden zugunsten eines Miteinanders auf Augenhöhe aufgelöst. 

  • Mitarbeiter:innen fühlen sich nicht mehr auf einzelne Fähigkeiten reduziert, sondern in ihrer Gesamtheit wahrgenommen. Dies steigert häufig die Motivation und die Unternehmensbindung.

  • Indem den Angestellten mehr Entfaltungs- und Freiraum gewährt wird, entstehen größere Anreize für Innovation und Kreativität.

  • Alle erfahren die gleiche Wertschätzung

  • Holacracy wird bislang in ausgesprochen wenigen Unternehmen praktiziert und fungiert somit als ideales Alleinstellungsmerkmal.

  • Im Rahmen des „Double Linking“, der doppelten Verbindungen, lässt sich eine umfassende bereichsübergreifende Kommunikation etablieren.

  • Dynamische Prozesse begünstigen eine schnellere Entscheidungsfindung.

  • Eine erhöhte Flexibilität ermöglicht es, rasch auf sich verändernde Rahmenbedingungen zu reagieren.

Nachteile von Holokratie

  • Holokratie setzt voraus, dass alle bereit sind, zwischenmenschliche Komplikationen im Sinne eines erfolgreichen Miteinanders beiseitezuschieben. Dies ist jedoch nicht immer gewährleistet. 

  • Führungskräfte fühlen sich mitunter in ihrer Kompetenz herabgesetzt

  • Manche Angestellten empfinden die komplexen Anforderungen, die zunehmende Eigenverantwortung und die häufig wechselnden Rollenprofile als Belastung

  • Holokratie lässt nur wenig Spielraum für Aufstiegsmöglichkeiten

Von einer Hierarchie zur Holokratie 

Der Wechsel von der Hierarchie zur Holokratie vollzieht sich nicht von heute auf morgen. Und das wäre auch keinesfalls zielführend. Um erfolgreich holokratisch zu arbeiten, sind mehrere, teilweise aufeinander aufbauende Schritte durchzuführen:

  1. Ausführliche Evaluation: Zunächst gilt es, zu prüfen, inwieweit die holokratische Methode zum betreffenden Unternehmen passt. 

  2. Alle an Bord holen: Bevor es an die konkrete Ausgestaltung geht, ist es entscheidend, alle Verantwortlichen (z. B. Betriebsrat und Führungskräfte) zu informieren sowie deren Zustimmung einzuholen. Gerade für Führungskräfte geht die Umstellung auf eine „Gesamtstärke“ mit dem Verlust ihrer bisherigen „Macht“ einher. Manche fühlen sich sogar möglicherweise in ihrer Autorität untergraben oder zu wenig wertgeschätzt.

  3. Geeignete Mitarbeiter:innen finden: Holokratie setzt Angestellte voraus, die bereit sind, sich vollkommen auf das Prinzip einzulassen und Verantwortung zu übernehmen. Nicht alle Mitarbeiter:innen wollen und können das. 

  4. Angestellte mit Eigenverantwortung vertraut machen: Mitarbeiter:innen, die bislang nur Befehle befolgten, werden aller Wahrscheinlichkeit nach Schwierigkeiten haben, umzudenken. Deshalb empfiehlt es sich, Mitarbeiter:innen zunächst projektweise in Eigenregie arbeiten zu lassen. 

  5. Regelwerk einführen: Das Holokratie-Regelwerk enthält weit über 10.000 Wörter und wichtige Grundlagen einer produktiven, zielgerichteten Zusammenarbeit.

  6. Übungsphase: Während der Übungsphase sind regelmäßige Governance Meetings an der Tagesordnung. Zudem sollten Angestellte hinsichtlich ihrer Einschätzung – vor allem in Bezug auf auftretende Schwierigkeiten – befragt werden. Auf diesem Weg kann potenziellen Stolpersteinen vorgebeugt werden. 

Holokratie in der Praxis

Holokratie funktioniert nur bei gleichzeitiger „zwischenmenschlicher Disziplin“: Persönliche Vor- und Abneigungen, kleinere Animositäten und insbesondere eher privat gelagerte Konflikte sind zugunsten eines sachlich-professionellen Miteinanders zurückzustellen. Eine positive Unternehmenskultur liefert von daher die ideale Grundlage, diese Hürde zu meistern. 

Auch wenn sich Holokratie für Ihre Unternehmensform nicht anbieten sollte, weist der Ansatz doch viele lehrreiche Facetten auf. Statt gleich aufs Ganze zu gehen, inspiriert es Sie möglicherweise dazu, Ihren Angestellten – in einem zu Ihrem Unternehmen passenden Rahmen – erweiterte Entscheidungsbefugnisse einzuräumen. 

Gemeinschaftlich zum Ziel

Holacracy basiert auf Teamgeist und der Bereitschaft, miteinander die Grenzen herkömmlicher Führungsprinzipien zu überschreiten. Aus diesem Grund sollten Sie sich Ihr Team sorgfältig zusammenstellen. Vereinbaren Sie ein Gespräch mit unserem Experten-Team und lassen Sie sich erklären, wie die Talent Management Software von Personio Ihnen dabei helfen kann. 

FAQ

Was bedeutet Holokratie?

Holokratisch zu arbeiten bedeutet, ein Unternehmen frei von hierarchischen Strukturen zu organisieren. Dazu braucht man weder Führungskräfte noch vorgefasste Stellenprofile. 

Wie funktioniert eine Holokratie?

In holokratischen Unternehmen werden Führungskräfte durch eine Gemeinschaftsführung ersetzt. Der Leitgedanke besteht darin, (Fach-)Kreise mit zugehörigen Unterkreisen zu bilden. Angestellte füllen zudem keine festen Jobprofile, sondern sich wandelnde Rollenbilder. 

Kann eine Holokratie in der Praxis funktionieren?

Ja, sofern Holokratie zum Unternehmen passt, funktioniert es nicht nur in der Theorie, sondern auch in der Praxis. Dafür ist es essenziell, alle Beteiligten umfassend vorzubereiten.

Für welche Unternehmen eignet sich Holokratie?

Ob Holokratie in einem Unternehmen funktioniert, hängt von einer Vielzahl von Aspekten ab. Neben verantwortungsvollen Angestellten sind vor allem das Anforderungsprofil und die Unternehmensgröße von Relevanz.

Disclaimer

Praxisleitfaden für eine kraftvolle Unternehmenskultur

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